Zehntausende waren es, die in der DDR 1989 friedlich für Demokratie und Freiheit demonstrierten. Viele von ihnen gingen zu den wöchentlichen Friedensgebeten, die unter anderem vom damaligen Pastor Joachim Gauck veranstaltet wurden.
Was ihn antrieb, in den Widerstand gegen das totalitäre SED-Regime zu gehen, war das Gefühl, dass etwas außerhalb einem plötzlich wichtiger ist als unmittelbare egoistische Bedürfnisse. Nicht nur die Scheinwahlen in der DDR, im Volksmund als „Zettelfalten“ bezeichnet, empfand Gauck als schlimme Ungerechtigkeit. Bis heute ist er der Meinung, ein System ohne Legitimation, wie die DDR, kann unter keinen Umständen eine gesunde und freiheitliche Gesellschaft hervorbringen.
Darüber, was Freiheit bedeutet und was es in Zeiten wachsender antidemokratischer Kräfte braucht, um unsere Demokratie zu schützen, sprach Gauck im Rahmen einer Veranstaltung am Hansa-Gymnasium. In der Aula der Schule versammelt waren Schülerinnen und Schüler von Hansa und Lui der Klassenstufen 7-12 mit ihren Lehrerinnen und Lehrern sowie dem Schulleiter des Hansas, Stefan Schulze. Angeregt und organisiert wurde die Veranstaltung vom Geschichtslehrer und stellvertretenden Schulleiter Lars Bodenstein zusammen mit der Schülervertretung, die ein buntes Rahmenprogramm vorbereitet hatte.
Joachim Gauck wurde 1940 in Rostock geboren und wuchs in einem evangelischen Elternhaus auf. Dass er christlich war, sei ihm in der Schule, die stark von der Ideologie des antichristlichen SED-Regimes bestimmt war, ein Hindernis gewesen. Dennoch hielt er an seinem Glauben fest, studierte Theologie und arbeitete ab 1965 viele Jahre als Pastor und Jugendpastor einer mecklenburgischen Kirche. Deren Räumlichkeiten, erzählte Gauck in seinem Vortrag, waren nicht nur Anlaufstelle für Christen, sondern ebenso für alle, die nach einer Alternative zum Sozialismus suchten. 1989 leitete Gauck die Friedensgebete in Leipzig, aus denen später die Montagsdemonstrationen gegen die Diktatur der SED hervorgingen. Als 1990 erstmals freie Wahlen der Volkskammer stattfanden, wurde Gauck als Abgeordneter der Bürgerbewegung Bündnis 90 gewählt. Im Zuge der Wiedervereinigung berief man ihn dann zum Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR.
Dass Joachim Gauck 2012 von der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten ernannt wurde, hätte er sich niemals träumen lassen und fand es höchst ehrenvoll. In seiner Rede erzählte Gauck, er hatte als damals 72-jähriger bereits mit seiner politischen Karriere abgeschlossen. „Aber manchmal sind Oma und Opa eben doch noch zu gebrauchen“, stellte er scherzhaft fest. Auch in hohem Alter könne man noch Neues lernen, sich in Themen einarbeiten und als sein Repräsentant ein Land verstehen und erklären.
Im Laufe seines Lebens, das er bis heute länger in Unfreiheit als in Freiheit verbrachte, lernte Gauck zweierlei Freiheiten kennen. Die eine Form erlange man mit dem Vollenden des 18. Lebensjahrs: Die Freiheit eines selbstbestimmten Lebens. Die eigentliche Freiheit eines Erwachsenen allerdings sei die der Verantwortung. Diese Erkenntnis nahm Gauck sich zur Leitlinie, um vor allem junge Menschen in Deutschland zu mehr politischem und sozialem Engagement zu ermutigen. Verantwortung für sich und seine Mitmenschen zu übernehmen, hält er für eine zwar anstrengende, aber auf lange Sicht befriedigende Form von Freiheit.
Auch mit der Veranstaltung im Hansa-Gymnasium leistete der Bundespräsident a.D. einen wichtigen Beitrag, um Jugendliche zu mehr politischer Partizipation anzuregen. In der anschließenden Gesprächsrunde beantwortete er die Fragen von uns Schülerinnen und Schülern und empfahl jungen Menschen, in die Politik zu gehen. Aus der Erfahrung als Abgeordneter von Bündnis 90 heraus meinte er, Politiker zu sein ist zwar kein dankbarer, aber wichtiger Beruf. Man dürfe nur nicht konfliktscheu sein, denn Konflikte seien unvermeidlicher und notwendiger Bestandteil einer Demokratie.
Im Sinne des Themas der Veranstaltung „Freiheit, Demokratie und Engagement“ betonte Gauck auch die Bedrohung durch zunehmendem Rechtspopulismus in Europa. Die deutsche AfD etwa bezeichnete er als „unwählbar“, dennoch müsse man zwischen Protestwählerinnen und -wählern und „echten“ Nazis differenzieren. Solche, so Gauck, gehören eingesperrt, erstere wiederum muss man versuchen zurückzugewinnen.
Abschließend riet Gauck uns Schülerinnen und Schülern, aus der Intention heraus, im Leben gut zu sein, entwickeln sich immer richtige persönliche und politische Entscheidungen.
Wie stark er selbst an dieser Überzeugung festhält, zeigte sich, als er das von der SV geplante politische „Smash or Pass“ ablehnte – ein Spiel, bei dem Gauck Politikerinnen und Politiker nach Sympathie und Antipathie hätte kategorisieren sollen. Seine Entscheidung erklärte er damit, er wolle nur Themen, nicht aber Personen bewerten.
Für das über seine Ablehnung überraschte Publikum zeigte sich allemal: Joachim Gauck ist ein Mann, der sich und seinen Überzeugungen treu bleibt.
Amrei Falkson, Profil Künste und Kulturen in Geschichte und Gegenwart, S1