Aus dem Hamburger Abendblatt vom 31. Oktober 2007 – Thomas Frankenfeld
Hamburgs junge Musikbrücke nach Shanghai
Konzertreise: Musiker aus Hamburg und Lettland spielten im Reich der Mitte und wurden gefeiert
Trotz diplomatischer Verstimmungen: Ein Hamburger Projekt mit jungen Musikern war China einen Staatsempfang wert
„Durch sein Gemüt ging für einen Herzschlag der Gedanke, dass er vielleicht gestorben sei und dass ihn der Himmel mit einem Engelschor empfange.“ Was Carl Zuckmeyer seinen unsterblichen Dechanten „Seelenbräu“ bei einer Bachkantate empfinden lässt, dürfte auch den Zuhörern einiger ganz besonderer Konzerte deutscher und lettischer Musik durchs Gemüt gezogen sein.
Undzwar in China. Einem Musikerensemble aus Hamburg und Kuldiga (Lettland) wurden jetzt im Reich der Mitte überraschend große Ehren zuteil – wie ein Staatsempfang und ein Staatsbankett -, denen vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Irritationen zwischen Deutschland und China ganz erhebliche Bedeutung zukommt. Von Eiszeit keine Spur, stattdessen Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit.
Die Idee einer solchen Tournee als völkerverbindende Geste unter dem Motto „Musik – von der Partnerschaft zur Freundschaft“ hatte Johannes Rasch, Dirigent des Bergedorfer Jugendorchesters [A-Orchester des Luisengymnasiums]. Zusammen mit der in Hamburg lebenden Niederländerin Francine Rolffs entwickelte er das ehrgeizige Projekt. Aber erst als zwei dynamische Mitstreiter gewonnen werden konnten, nahm die Sache Fart auf: Der Berliner Asienbeauftragte des Deutschen Städtetages, Jing Sheng Lue, und die Hamburger Honorarkonsulin h.c. für Lettland, Dr. Sabine Sommerkamp-Homann, die auch die Schirmherrschaft übernahm.
Zahlreiche öffentliche und private Institutionen und Personen fördern das hamburgische Projekt, darunter auch Hamburgs erster Bürgermeister, Ole von Beust. Die Philharmoniker der Staatsoper stellten sogar ihre „flight-cases“, teure Transportkoffer für Musikinstrumente, kostenlos zur Verfügung.
Schließlich machte sich ein Tross aus 129 Musikern und Betreuern auf den Weg nach China. Undzwar als offizielle Vertreter der Bundesrepublik Deutschland: Denn die Tournee wurde in die große Image-Kampagne der Regierungen in Berlin und Peking – „Deutschland und China gemeinsam in Bewegung“ – aufgenommen, deren Schirmherr der Bundespräsident persönlich ist.
Und nun lauschen die chinesischen Zuhörer ergriffen. Bach, Vivaldi, Schumann, Mozart, Haydn, Mendelssohn, Brahms, Bizet, Grieg – es sind Preziosen europäischer Orchestermusik, bereichert durch schönste lettische Chormusik, dargeboten vom Ensemble der Hochschule für Musik und Theater HfMT Hamburg, vom Bergedorfer Jugendorchester des Luisen-Gymnasiums und vom Chor „Cantus“ aus Kuldiga in Lettland, der Partnerstadt von Geesthacht. „Cantus“ unter Dirigentin Maruta Ruzide gilt als einer der besten Chöre der Welt. Kulturgenuss vom Feinsten.
„In diesen Konzerten demonstrieren junge lettische und deutsche Musiker mit ihren gemeinsam erarbeiteten Werken das Zusammenwachsen Europas und schlagen gleichzeitig musikalisch eine Brücke nach China“, sagt Sommerkamp-Homann dazu.
Die wunderbaren Stimmen der „Cantus“-Mädchen und die Orchesterklänge füllen zunächst das Theater der Wei-Yu-Schule in der 18-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai, Hamburgs Partnerstadt. O je, hatte sich der mitreisende Chronist des Abendblatts in stiller Ignoranz gedacht, als er hörte, dass die Musikhochschule vor allem den heute wenig bekannten Bergedorfer Barockkomponisten Johann Adolph Hasse (1699-1783) in China aufführen wolle. Und nun sitzt er da, von der Magie der Musik gerührt wie Zuckmeyers „Seelenbräu“ und tut an Hasse stille Abbitte. Denn dessen „Miserere“ besitzt eine ähnlich emotionale Wucht wie Mozarts „Requiem“. Kein Wunder, dass Friedrich der Große, Haydn und Mozart den Bergedorfer sehr bewunderten.
In Shanghai bringt ein hochrangiges Professorentrio aus Hamburg den Chinesen Hasse näher, der 1718 am Opernhaus am Gänsemarkt debütierte: Wolfgang Hochstein, Dekan an der Musikhochschule, leitet das Hasse-Ensemble, der in Israel geborene Mosche Aron Epstein ist Solist und lehrt Flöte an der Hochschule, der in Hamburg lebende Amerikaner Steven Paul, Musikwissenschaftler mit Grammy-Preis, spricht erläuternde Worte.
Überraschend treffen wir im Publikum auf junge Hamburger – 30 Austauschschüler des Christianeums, die zwischen drei Monaten und einem Jahr hier in Shanghai die Schulbank drücken. Wie Lorenz Nagel (16) aus Nienstedten und Lea Kimminich (15) aus Blankenese. „Es geht viel strenger hier zu“, sagen die beiden. Trotzdem hat Lea gerade ihren Aufenthalt verlängert. Die Chinesisch-Lehrerin am Christianeum hatte die Hamburger Schüler sprachlich fit gemacht.
Wer aus den Elbvororten kommt, muss von Shanghai erschlagen sein. Die Stadt ist zehnmal so groß wie Hamburg – an Fläche wie an Einwohnerzahl. Im Stundentakt scheint der steinerne Wald von Wolkenkratzern emporzuwachsen. Eine dichte Glocke aus Smog, die allenfalls mal von Taifunen aufgerissen wird, hüllt die Mega-Metropole ein.
Schließlich zieht die deutsch-lettische Musik-Karawane nach Jinjiang weiter. Die Stadt am Jangtse ist mit 665 000 Einwohnern genau so groß wie Frankfurt und Heimatstadt des chinesischen Botschafters in Deutschland, Ma Canrong. Und dann die Überraschung: Jinjiang stuft die Tournee der Hamburger und Letten als Staatsbesuch ein – eine ganz besondere Geste in Zeiten der politischen Irritationen.
Ab der Stadtgrenze werden die drei Busse mit den Musikern von einer Polizeieskorte begleitet, Sabine Sommerkamp-Homann steigt in eine Staatskarosse um. Sämtliche Kreuzungen auf allen Stadtfahrten des Konvois sind von Polizei abgeriegelt. Ein Staatsbankett wird ausgerichtet, Bürgermeister und Parlamentspräsident geben sich die Ehre. Die Hamburger Konsulin überbringt Grüße von Ole von Beust. Alle 129 Reisenden dürfen sich nun als Botschafter Deutschlands fühlen.
Diesmal wird ein Konzert in einer riesigen Schule für Hochbegabte gegeben, die auch Botschafter Ma einst besuchte. Das Theater mit seinen roten Plüschsitzen hat Schauspielhaus-Dimensionen. Besonders begeistert sind die Chinesen von Ida und Fanni Fan, zwei bezaubernden Virtuosen an Violine und Klavier. Die zierlichen Hamburgerinnen vom Brookdeich sind chinesischer Abstammung und erklären dem Publikum auch die Musik.
Das Konzert wird live im Rundfunk übertragen – wie sich heraustellt, ist es die erste Live-Übertragung eines derartigen Ereignisses in der Geschichte der Stadt Jinjiang. Eine große Ehre für die Hamburger.
Dann am nächsten Tag ein Ausflug an den gewaltigen Jangtse-Strom. Und beim Besuch der Yangzi-Werft werden den Hamburgern wieder die chinesischen Dimensionen klar. „Vor zwei Jahren war hier noch eine grüne Wiese“, sagt Werft-Präsident Cao stolz. In wenigen Jahren will Yangzi die größte Werft der Welt sein. 148 Schiffe hat Cao in den Auftragsbüchern, allein 110 davon für Deutschland.
Die deutsch-lettische Reise endet mit weiteren Konzerten und Besichtigungen in Peking. Hier macht die Vizebürgermeisterin der Hauptstadt den Ensembles ihre Aufwartung. „Wir haben weit mehr erreicht in China als erwartet“, sagt Sabine Sommerkamp-Homann. Ein Ereignis in Peking belegt die Offenheit der Chinesen. Der „Cantus“-Chor singt zum Ende des Konzertes ein bekanntes chinesisches Lied. Plötzlich erhebt sich im Zuschauerraum ein alter Mann, geht am Stock zur Bühne und dirigiert, zum Publikum gewandt. Alle Chinesen singen mit dem lettischen Chor zusammen. Es stellt sich heraus, dass der alte Mann Yang Hongnian ist, einer der berühmtesten Dirigenten Chinas. „Ein größeres Kompliment hätten die Hamburger und Letten bei uns nicht bekommen können“, meint ein Zuschauer beeindruckt.